Am 5. Juni 2025 ist Günter Westphal verstorben – ein Mensch, der Hamburgs Münzviertel über Jahrzehnte geprägt hat. Er war Künstler, Aktivist, Fotograf – aber vor allem ein Mensch, der anderen stets auf Augenhöhe begegnete. Sein Engagement für Obdachlose, für die Erinnerungskultur und für eine sozial gerechte Stadtentwicklung bleibt unvergessen.
Ein Leben für das Münzviertel
Günter Westphal wurde 1942 in Cottbus geboren. Nach einer Ausbildung zum Fotografen studierte er von 1966 bis 1972 an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg. Seit den frühen 2000er Jahren setzte er sich unermüdlich für das Münzviertel ein – einen kleinen Stadtteil nahe dem Hamburger Hauptbahnhof, der sich durch seine soziale Vielfalt und seine widerständige Geschichte auszeichnet.
2002 gehörte Westphal zu den Mitbegründern der Stadtteilinitiative Münzviertel, einem Zusammenschluss engagierter Anwohner:innen, die sich gegen Verdrängung, Ausgrenzung und soziale Kälte wehrten. Sein Wirken war nie laut, aber immer wirksam: in Projekten, Gesprächen, Texten, in der Begleitung junger Menschen.
„Wenn ich etwas mache, dann mit anderen – nie über sie hinweg.“
(Günter Westphal, Interview mit der taz)
Das Werkhaus Münzviertel – ein Ort der Offenheit
Sein wohl bekanntestes Projekt ist das Werkhaus Münzviertel, das er mitinitiiert und viele Jahre begleitet hat. Das Werkhaus ist ein Treffpunkt für junge obdachlose Menschen. Es bietet Raum – keine Therapie, keine Maßnahme, keine Kontrolle, sondern Vertrauen und kreative Angebote.
„Wir bieten nicht Hilfe an, sondern Zutrauen.“
(Günter Westphal über das Werkhaus)
Gerade junge Menschen, die durchs Raster gefallen sind, konnten im Werkhaus wieder Perspektiven entwickeln. Für Westphal war das eine Form künstlerischer Praxis: sozial, gemeinschaftlich und radikal menschlich.
„Ästhetik bedeutet für mich: die Wahrnehmung verändern – und dadurch die Wirklichkeit.“
(Günter Westphal)
Kunst, die die Gesellschaft bewegt
Sein künstlerischer Ansatz war immer auch politisch. Westphal nutzte Kunst als Werkzeug des Empowerments – nicht als Dekoration. In Interviews betonte er:
„Wir begegnen uns auf Augenhöhe – egal ob Politik, Hochschule oder junge Obdachlose.“
(taz, 2024)
Seine Ästhetik war geprägt vom Alltag der Menschen, von Beteiligung, von Begegnung. Er verstand sich nicht als Helfer, sondern als Mitstreiter.
„Ich bin kein Sozialarbeiter. Ich bin Künstler. Mein Material ist die soziale Wirklichkeit.“
(Günter Westphal)
Erinnerungskultur und Stadtgeschichte
Neben der sozialen Arbeit engagierte sich Westphal intensiv in der Erinnerungskultur. Er forschte zur Geschichte des Münzviertels, organisierte Stolperstein-Verlegungen und Zeitzeugengespräche – etwa über Recha Lübke und Bella Spanier, jüdische Frauen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden.
„Wenn wir die Geschichte eines Ortes ernst nehmen, können wir ihn auch gemeinsam gestalten.“
(Günter Westphal)
Ein Vermächtnis, das bleibt
Günter Westphal hat Spuren hinterlassen – in den Menschen, mit denen er gearbeitet hat, in den Strukturen, die er aufgebaut hat, und in der Haltung, mit der er sich für eine gerechtere Stadt eingesetzt hat. Er hat gezeigt, wie Kunst, Soziales und Stadtentwicklung zusammengehören können – und was es heißt, wirklich zuzuhören.
„Er konnte sich klein machen, um anderen Raum zu geben.“
(taz-Nachruf, 2025)
Das Münzviertel verliert mit ihm eine prägende Figur, doch sein Geist lebt weiter: im Werkhaus, in den Initiativen, im täglichen Miteinander. Und vielleicht auch in jedem, der sich fragt: Was heißt es eigentlich, auf Augenhöhe zu sein?

